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Basketball

Deutschlands Adler fliegen wieder

Der gelegentliche Basketballzuschauer in Deutschland ist Fußballfan. Als solcher bekommt er von der ambitionierten Beko BBL wenig mit. Das einzige TV-Livespiel in der Woche kollidiert zeitlich meist mit der Sportschau, die weitere Berichterstattung findet in den Lokalmedien statt. Dazu findet der gelegentliche Zuschauer meist kein zu unterstützendes Bundesliga-Team, außer wenn er in Hagen, Gießen oder Bayreuth wohnt. Als Kölner, Hamburger oder Düsseldorfer sucht er vergeblich. Die BBL ist keine Liga der deutschen Großstädte, wenn man Frankfurt, Berlin und jetzt München mal außen vorlässt. So bleibt die BBL für viele Basketballinteressierte fremd. Wenn zufällig doch Ausschnitte gesehen werden, ist schnell der (falsche) Vergleich mit den Highlight-Videos der NBA gezogen und die heimische Basketballliga als „zweitklassig“ abgetan.

Doch irgendwann zwischen Spätsommer und Frühherbst, wenn in der Fussball-Bundesliga die Anfangseuphorie in den schnöden Liga-Alltag übergeht, schaltet der Fussballfan um. Nicht die BBL-Mannschaft, welches jedes Jahr drei neue US-Amerikaner und vier Serben verpflichtet, sondern die Nationalmannschaft spielt. Zugegeben, die letzen beiden Jahre waren hart. Ohne Dirk Nowitzki und Chris Kaman wurde man 2009 Letzter der EM-Zwischenrunde, sogar hinter Mazedonien. 2010 wechselten sich ansprechende Leistungen mit Horror-Spielen wie gegen Australien oder Angola ab, unterm Strich stand das Aus in der WM-Vorrunde. Ohne Dirk war die Natio für den Gelegenheitszuschauer nicht mehr sexy.

Doch nun ist der große Blonde zurück, mit dem größten Erfolg seiner Karriere im Gepäck. Am Abend wird er erstmals seit Olympia 2008 wieder für Deutschland auf dem Parkett stehen. Mit ihm kehren auch die Fussballfans zurück. Für diese (und nicht für Experten) gibt es folgend eine Vorstellung der aktuellen Mannschaft, damit auf dem Bildschirm nicht vergeblich nach Pascal Roller und Demond Greene gesucht und „Wer zum Teufel ist Per Günther?“ gefragt wird.

Point Guards
Steffen Hamann ist unter Bundestrainer Dirk Bauermann mit Bayern München souverän in die BBL aufgestiegen. Nach einer Saison mit schwächeren Gegenspielern in der zweiten Liga muss er sich wieder schnell an das europäische Niveau gewöhnen. In der Vergangenheit war Hamann stets der startende Spielmacher der Nationalmannschaft, leitet den Spielaufbau zuverlässig. Seine Stärken sind die Verteidigung und der Zug über rechts zum Korb. Seine größte Schwäche ist der 3-Punkte-Wurf, den er so oft trifft, wie Kurt Krömer eine geschmackvolle Anzugwahl: fast gar nicht.
Heiko Schaffartzik spielte eine starke Saison bei ALBA Berlin, die fast mit dem Meistertitel belohnt wurde. Er ist ein „Streaky Shooter“: Wenn er heiß läuft, ist der Korb für ihn so groß wie die Ostsee und es fallen auch die unmöglichsten Würfe. In der Zeit der Dirk-Abstinenz spielte er groß auf, zeigte beispielsweise 2009 gegen Griechenland ein perfektes Spiel: Schaffartzik traf 7 von 7 Würfen aus dem Feld, davon 5/5 von der Dreierlinie und zusätzlich 2/2 Freiwürfe. Seine vermeintliche Schwäche, die Verteidigung, erschien in den diesjährigen BBL-Playoffs stark verbessert, manchmal fehlt die Ruhe und Übersicht im Spielaufbau. Schaffartzik könnte auch zeitweise als Shooting Guard neben Hamann auflaufen.
Per Günther (inzwischen nicht mehr im Kader) hat gerade seine „Breakout-Saison“ in Ulm hinter sich. Mit über 12 Punkten und 3 Assists im Schnitt mauserte er sich zu den besten deutschen Spielern der Basketball-Bundesliga. Auf internationalem Level wirkte er meist zu klein, zu nervös, einfach zu schlecht. Vielleicht hat seine Entwicklung einen Schub bekommen, die Statistiken der BBL sind ein Indiz. Wenn nicht, ist er wohl der schwächste Spieler im derzeitigen Kader, aus dem noch zwei Spieler gestrichen werden müssen. Wenn Bauermann aber mit drei Point Guards zur EM fahren möchte, ist Günther dabei.

Hamann / Schaffartzik / Günther

Hamann / Schaffartzik / Günther

Shooting Guards
Auf der Position „zwei“ klafft ein kleines Qualitäts-Loch. Lucca Staiger sah sich bei ALBA Berlin stark schwankenden Einsatzzeiten ausgesetzt. Er ist ein Prototyp des klassischen „Shooters“: Gib ihm den Ball frei an der Dreierlinie und dein Team hat drei Punkte mehr. Viel mehr kann Staiger leider auch nicht, defensiv kann er sogar eine Gefahr für die eigene Mannschaft darstellen: Manche Gegner von ALBA spielten, wenn Staiger auf dem Feld stand, extra Systeme für Staigers Gegenspieler. Doch gerade mit zwei so starken Innenspielern (Nowitzki & Kaman) ist ein Shooter, der das Feld weit macht und Platz für die Großen schafft, unabdingbar.
Johannes Herber hatte in der Vergangenheit großes Verletzungspech. Die weitgehend verletzungsfreie Saison in Tübingen ist schon für ihn als Erfolg zu sehen. Als fester Bestandteil der Rotation war er mit viel Spielzeit ausgestattet und dankte es mit soliden Leistungen. Herber ist ein intelligenter Spieler mit Spielmacher-Qualitäten und guter Defense, kann von allem ein bisschen und hilft dem Team da, wo es nötig ist. Viel wird von seiner derzeitigen Form abhängen.
Wie oben schon erwähnt, könnte Heiko Schaffartzik als Shooting Guard aushelfen, auch Philipp Schwethelm ist auf der Zwei denkbar.

Staiger / Herber

Staiger / Herber

Small Forwards
Robin Benzing wurde neben Tibor Pleiß und Elias Harris am ehesten zugetraut, in naher Zukunft in der NBA zu spielen. Doch beim diesjährigen Draft, bei dem NBA-Teams Nachwuchsspieler in ihr Team holen können, wurde Benzing nicht ausgewählt. Zu dünn sein Körper, zu unkonstant seine Leistungen, die Scouts trauen ihm nicht zu, auf NBA-Level zu bestehen. Benzing ist ungewöhnlich groß (2,09 m) für seine Position, es fehlt ihm aber einfach an Kraft und Athletik, selbst Fernsehkommentator Buschmann ließ sich zu übermäßiger Kritik an Benzings (kaum vorhandener) Muskelmasse hinreißen. Robin Benzings Statistiken der letzten Saison in Ulm sind symptomatisch: Einerseits war er der beste deutsche Punktesammler der Liga (15 Punkte pro Spiel), andererseits benötigte er extrem viele Würfe dafür, was zu einer miesen Wurfquote (41 % aus dem Feld, 31 % von der Dreierlinie) führte. Das Nationalteam braucht einen dritten Scorer, der Nowitzki und Kaman entlastet. Fraglich ist, ob Benzing diese Rolle mit deutlich weniger Würfen erfüllen kann.
Philipp Schwethelm überzeugte 2010/11 bei den Eisbären Bremerhaven (10 Punkte / 50 % Wurfquote) den Bundestrainer, der ihn prompt zu den Bayern nach München holte. Seine starker Dreipunktewurf (42 %) brachte ihm sogar eine Einladung zum Three-Point-Contest beim All-Star-Day ein, wo er bis ins Finale vordrang. Beim letztjährigen Aus in der Vorrunde überzeugte er im Katastrophen-Spiel gegen Angola, als er Deutschland im Alleingang beinahe rettete. Schwethelm wird sicherlich Bestandteil der Rotation sein und auch, wie schon erwähnt, als Shooting Guard zum Einsatz kommen.
Konrad Wysocki (inzwischen nicht mehr im Kader) hatten viele nach seinen schwachen letzten Leistungen im Nationalteam nicht auf der Rechnung. Kurios: Im vergangenen Jahr ohne Nowitzki und Kaman wurde er als Letzter aus der Mannschaft gestrichen, dieses Jahr könnte es für Wysocki mit den Beiden reichen. Nach einer überzeugenden Saison (10 Punkte / 7 Rebounds pro Spiel bei 52 % Wurfquote aus dem Feld und 42 % von der Dreierlinie) bei Turow Zgorzelec in seinem Geburtsland Polen, als man erst im Finale knapp am Euroleague-Teilnehmer Asseco Prokom scheiterte, zeigte er sich auch in den bisherigen Vorbereitungsspielen formverbessert. Wysocki, der auch auf Power Forward aushelfen könnte, wird aber weiterhin um seinen Platz kämpfen müssen.

Benzing / Schwethelm / Wysocki

Benzing / Schwethelm / Wysocki

Power Forward:
Dirk Nowitzki: Die Nr. 1 von Deutschland, die Nr. 1 der Welt? Nowitzki hat sich seine beiden Lebensträume (Olympia und NBA-Titel) erfüllt und trotz Mini-Pause will er wieder für Deutschland spielen. Diesem Mann gebührt einfach nur der allerhöchste Respekt. Die Erwartungen könnten jetzt höher nicht sein – man darf aber nicht den Nowitzki in NBA-Finalform erwarten. Er bestreitet heut Abend sein erstes Spiel nach ein paar Wochen Einzeltraining, hat so noch nie mit dieser Mannschaft zusammen gespielt. Der Rhythmus muss erst noch gefunden werden, vielleicht passiert das erst im Laufe des EM-Turniers. Ansonsten mein Tipp an den Zuschauer: Einfach zurücklehnen und den besten deutschen Sportler im Nationaltrikot genießen. Nowitzki 33 Jahre alt geworden, viele Möglichkeiten dazu wird es nicht mehr geben.
Jan Jagla muss sich komplett umstellen. Bei den letzten beiden Turnieren noch Führungsspieler und so etwas wie der „Go-to-Guy“, wird er als Backup vielleicht nur auf 10 Minuten pro Spiel kommen. Jagla ist eine Art „Nowitzki-light“, trifft gut von Außen, kann sich aber im Gegensatz zum NBA-Champion nicht so gut den eigenen Wurf erarbeiten. Seine vergangene Saison mit Stationen in Polen und der Türkei war unbefriedigend, auch er wurde nun vom Bundestrainer Bauermann nach München geholt.
An Sven Schultze scheiden sich die Geister. Die Einen sehen in ihm einen überalterten Spieler, der sich in der Verteidigung nur noch mit Fouls helfen kann und vorne nichts mehr bringt, außer den gelegentlichen Dreier. Die Anderen sehen Schultze als den „Lockerroom-Guy“, der die Mannschaft zusammenhält, für die richtige Team-Chemie sorgt. Auf dem Feld bringe er die notwendige Härte und Erfahrung. Fakt ist: Schultze ist gut mit Nowitzki befreundet, ist gefühlt schon immer dabei. Sportlich wäre seine Nominierung sicherlich fragwürdig, doch er erwartet als „12. Mann“ keine Spielzeit, im Gegensatz zu
Tim Ohlbrecht. Das ewige Talent flog nach einer schwachen Saison bei den Telekom Baskets Bonn in die Staaten, um sich in einem Trainingslager für die Nationalmannschaft fit zu machen. Ohlbrecht ist athletisch und besitzt ein lockeres Händchen von Außen. In den bisherigen Vorbereitungsspielen stach er hervor. Seine Schäche ist die Psyche und damit einhergehend oft dumme Fouls. Wenn er zum endgültigen Kader gehört, wird Ohlbrecht, der auch Center spielen kann, sich hinter Nowitzki, Jagla, Kaman und Pleiß einordnen müssen. Ob er ruhig bleiben wird, wenn es mal keine Einsatzzeit gibt? Für diese kleine Rolle scheint in meinen Augen Sven Schultze besser geeignet, auch wenn es sportlich nicht zu begründen wäre.

Nowitzki / Jagla / Schultze / Ohlbrecht

Nowitzki / Jagla / Schultze / Ohlbrecht

Center
Chris Kaman, US-Amerikaner mit deutscher Großmutter, wurde 2008 eingebürgert. Er verhalf Nowitzki zu dessen Lebenstraum Olympia und sah in Peking mit Begeisterung zum ersten mal in seinem Leben Handball. Wie gut Kaman ist? Der Los Angeles Clipper wurde einmal NBA-Allstar, nur die besten Spieler werden zu diesem Event gewählt. Die letzte Saison war er größtenteils verletzt, sein letztes professionelles Basketball-Spiel ist 4 Monate her. Dass im Trainerteam spekuliert wird, ihn eventuell von der Bank kommen zu lassen, halte ich aber für überzogen. Kaman ist ein überdurchschnittlicher NBA-Spieler, der über Jahre amtliche Statistiken aufgelegt hat. Mit Nowitzki bildet er das „Zweiköpfige Monster“ unter dem Korb, das beste Inside-Duo der kommenden Europameisterschaft, an das auch nicht die Gasol-Brüder herankommen. Kaman hat im Angriff ein großes Repertoire an Post-Moves, besitzt einen sicheren Wurf bis zur Mitteldistanz, ist ein guter Rebounder und Shotblocker. Dort wo Kaman ist, möchte
Tibor Pleiß einmal hin. Der erste Schritt ist getan, beim NBA-Draft sicherten sich die Oklahoma City Thunder (Das Team um NBA-Topscorer Kevin Durant) die Rechte an Pleiß, der in der kommenden Saison aber noch beim amtierenden Meister Bamberg spielen wird. Pleiß wird wahrscheinlich der nächste deutsche Spieler in der NBA sein. Letzte Saison führte er die BBL bei den Blocks an, auch bei den Rebounds war er vorne dabei. Oftmals wird er dafür verteufelt, vorne nur per Korbleger, anstatt autoritärem Dunk abzuschließen. Dass er es kann, zeigte aber in fast jedem Spiel ein schöner Spielzug der Bamberger, welcher mit einem Alley-Oop-Dunk von Pleiß endete. Während seine Moves rund um den Korb noch weiter reifen müssen, ist sein Mitteldistanzwurf schon gut entwickelt, teilweise lässt er auch den Dreier fliegen.

Kaman / Pleiß

Kaman / Pleiß

Moment, was ist eigentlich mit …?

…Yassin Idbihi? Seine Frau war schwanger und Idbihi wollte die erste gemeinsame Zeit mit dem Kind in Ruhe zu Hause verbringen. Seine gute Spielzeit, welche in hervorragenden Playoffs mündete, hätte ihm einen Platz im Kader fast garantiert. Inzwischen hat das Kind das Licht der Welt erblickt, alles ist gut verlaufen.

…Elias Harris? Nach einer aufsehenerregenden ersten College-Saison mit den Gonzaga Bulldogs galt es als sicher, dass Harris beim Draft von einem NBA-Team „gezogen“ wird. Doch er entschied sich für ein weiteres Jahr an der Uni, welche mit „Pleiten, Pech und Verletzungen“ ganz gut umschrieben ist. Um sich von seinen Blessuren zu erholen, setzt Harris von der Nationalmannschaft aus.

…Demond Greene? Wahrscheinlich wacht Dwayne Wade Nachts immer noch schweißgebadet auf, wenn er mal wieder von Greenes Monsterblock träumt. Bei den Bayern verletzte sich Greene letzte Saison schon am Beginn schwer und fiel fast für die komplette Spielzeit aus. Um sich vollständig auszukurieren und weil er 2010/11 kaum Pflichtspiele bestritten hat, sagte er dem Nationalteam ab. Während seiner Verletzungspause vertrieb sich Greene die Zeit auf Facebook, was teilweise sehr erheiternd war und viel Spaß machte. Hier ein exemplarischer Auszug:

…Pascal Roller? Der Kahlkopf mit dem tödlichen Dreier beendete nach dem Halbfinalaus seiner Skyliners gegen ALBA Berlin seine Karriere. Wieviel Respekt Roller in Basketball-Deutschland besitzt, zeigte sich, als die BBL die Auszeichnung für den beliebtesten Spieler in „Pascal-Roller-Award“ umbenannte. Roller studiert nun an der Uni Frankfurt Englisch und Sport auf Lehramt.

…Niels Giffey, Dominik Bahiense de Mello, Philipp Zwiener und Christopher McNaughton?
Diese vier wurden bereits von Dirk Bauermann aus dem Kader gestrichen. Giffey wurde mit UConn US-College-Meister und spielte dann bei der U20-EM. Der Sprung zu den Männern war am Ende wohl zu groß. De Mello spielte eine gute Saison in Frankfurt, schien sich aber in der kurzen Zeit bei der Natio nicht beweisen zu können. Triers Zwiener kann auf eine sehr gute Spielzeit zurückblicken, seine Scoring-Fähigkeiten werden im deutschen Team aber eher weniger gebraucht, bzw. werden auf seiner Position wahrscheinlich besser durch Benzing und Schwethelm abgedeckt. Für McNaughton ist auf den großen Positionen einfach kein Platz, die Konkurrenz zu stark.

Über Frido

in Potsdam aufgewachsen, danach Student der Medien und Kommunikation in Passau, jetzt Master Politikwissenschaften in Freiburg. Dazwischen in Chicago und London.

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